Über die große Kunst der Kunst
- KK
- 3. Juni 2020
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Feb. 2022
Wenn Kunst den tragenden Boden des Gegenständlichen verlässt, bin ich in der Regel raus. Ich liebe zum Beispiel Picasso und habe mit Beuys große Probleme. Beuys Kunst ist zwar auch gegenständlich, aber sein sozial erweiterter Kunstbegriff - naja. Denn im Grunde stellt es den Künstler in den Vordergrund und nicht das Kunstwerk.
Das ist falsch und völlig verkürzt, werden viele sagen. Beuys macht aus Alltagsgegenständen Kunst und durch die Betrachtung jeden zum Künstler. Das wiederum ist völlig richtig, sage ich, aber Fettecken strapazieren den Sinn für Kunst unnötig. Wenn vor Exponaten die Frage gestellt wird: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ macht das quasi alles zur möglichen Kunst. Allein die Tatsache, dass etwas in einem Museum steht, rechtfertigt das Etikett „Kunst“ noch lange nicht. Es öffnet sämtlichen Scharlatanen dieser Welt Tür und Tor und vor allem der Zufall entscheidet, ob jemand zum großen Künstler wird oder nicht. Ein Künstler, wenn er sich nur einmal einen Namen gemacht hat, besitzt quasi die Lizenz zum Gelddrucken. Dass Kunst Können und damit ein handwerkliches Geschick erfordert, ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil des Künstlerischen. Hässliches für viel Geld mit seinem Namen darunter verkaufen, konnte auch Picasso, klar. Allerdings liefert Picasso eigentlich immer einen Ansatz, sein Bild oder seine Skulptur zu deuten. Bei einem Freiflug der Interpretation sind meine Toleranzgrenzen gegenüber Kunst erreicht.
Sie lasen Gedanken aus dem Jahre 1995. Ich hatte gerade mein Studium in Berlin abgeschlossen, bei dem auch Kunstgeschichte eine Rolle spielte. Also glaubte ich, von Kunst was zu verstehen und natürlich von Berlin. Nun wollten Christo und Jeanne-Claude den Reichstag verpacken. Verpacken als Kunst. Gehts noch?
Der Reichstag stand kurz davor, aufwendig renoviert zu werden. Sir Norman Forster hatte die wahnsinnig schöne und kluge Idee, die vorgesehene Kuppel fürs Volk zugänglich zu machen. Es würde den Volksvertretern ohne große Interpretationsmöglichkeit schlicht, ergreifend und real auf die Finger schauen können. Denn über allem in der Demokratie steht das Volk. Und das blickt nicht auf, sondern herab.
Bevor die Renovierung startete, planten Christo und Jeanne-Claude nun also für 14 Tage Aluminium-Folie um diesen geschundenen Klotz zu drapieren. Was für ein Unsinn! Kaum zu glauben, aber Helmut Kohl und ich hatten etwas gemeinsam: wir waren dagegen.
Die Entscheidungshoheit über dem Reichstag lag allerdings bei der amtierenden Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth. Und Süßmuth sah das alles anders. Mich stimmte milde, dass Christo bei der Verpackung das Gerüst aufbauen und zahlen sollte, das dann später auch für die Renovierung des Reichstages genutzt werden konnte. Am Ende also wenigstens etwas für das Allgemeinwohl - immerhin.
Ich beobachte argwöhnisch, wie Kletterer Folie rollten und wickelten. Tagelang bis spät abends. Zum Schluss dunkelblaue Schnüre drum herum - fertig. Erwähnte ich, dass der Sommer 1995 ein sehr schöner war? Mit vielen lauen Sommerabenden? Und erwähnte ich, dass die Turnerei ziemlich spektakulär aussah?
Der Wrapped Reichstag. Manchmal goldgelb schwer und dann wieder silbrig luftig lag er da, dieser Koloss im Herzen des wiedervereinten Berlin. Tausende und Abertausende Betrachter saßen, standen, lagen davor, häufig im Abendrot. Touristen und Berliner vereint im Wissen von etwas besonderem Teil zu sein. 14 Tage, nicht mehr. Trotz der kurzen Zeit lag eine Ruhe darin. Und es war große und zu Recht in die Geschichte eingehende Kunst.

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