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- KK
- 22. Mai 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Juni 2022
Kürzlich schrieb mir eine Freundin um 6:33 Uhr morgens in einem Gruppenchat: "Kristina, durch Dich denke ich immer stärker über die Interpunktion nach. Gibt es die Kombination "?!" und macht sie Sinn? Guten Morgen!"
Ich war einigermaßen überrascht. So früh am Morgen gleich Grammatik?!
Es stimmt, ich bin ein großer Fan von überlegter Interpunktion. Ich finde ein Ausrufungszeichen an einigen Stellen sinnvoll, an anderen nicht. Dass der richtigen Gebrauch von Kommata Leben retten kann, ist hinlänglich bekannt. "Komm, wir essen, Opa." hätte ohne den Einsatz der Kommata sehr ernst zu nehmende Folgen für alle Beteiligten.
Aber dass meine Freundin die Kombination "?!" bis dato noch nie angewandt hatte, gab mir zu denken.
Ich antwortete: "Durchaus. In einer Empörungssituation, wenn man nicht glauben kann, was man hört."
Die Dritte in unserem Gruppenbunde schaltete sich ein: "Guten Morgen, ihr Lieben! Ich benutze dauernd Ausrufe- und Fragezeichen. Ist schon so ne Manie bei mir." Kein Wunder, dachte ich. Sie ist Lehrerin.
Tatsächlich hat die Verwendung von alleinstehenden Satzzeichen heute anscheinend fast keine Bedeutung mehr. Ihr Gebrauch ist im Kurznachrichtenzeitalter inzwischen inflationär. Eine Mitteilung, die im Bruchteil einer Sekunde geschrieben und übermittelt werden kann, braucht Verstärkung durch viele Satzzeichen, wenn der Absender sie in der Masse der Informationen nicht untergehen lassen und ihre Wichtigkeit betonen will.
Früher, als eine Nachricht mehrere Tage brauchte, um zum Empfänger zu gelangen, hatte in der Regel jedes Wort Gewicht. Es kostete schließlich erhebliche Mühen, sie zu erstellen. Blatt, Feder, Tinte, Postkutsche, gefüttertes Pferd, ein angemessen entlohnter Briefüberbringer. Das Geschriebene musste wichtig und bedeutungsvoll sein, jedes Wort war wohl überlegt. Diese Wichtigkeit zwang zur Disziplin.
Heute entspricht die Halbwertszeit einer Nachricht maximal der Länge eines Augenzwinkerns. Wenn also jemand seinem Gesagten Dringlichkeit oder Gewicht beimessen will, nutzt er Ausrufungszeichen - oder GROSSSCHREIBUNG - oder BEIDES!!!! Denn die menschlich Stimme, die im Gespräch dabei helfen könnte, wichtiges von unwichtigem zu unterscheiden, fehlt. Deshalb gilt: Je mehr Ausrufungszeichen, desto wichtiger!!! Leider verwechselt der Absender jedoch sehr häufig objektive mit subjektiver Wichtigkeit. Legt der verschwenderische Umgang mit Ausrufungszeichen die Vermutung vielleicht nahe, dass er sich möglicherweise klein und unbedeutend vorkommen könnte? Reicht nicht eins, wenn er sein Geschriebenes für wichtig hält? Oder findet der Schreiber einfach nur, er habe zu viele ungenutzte Ausrufungszeichen oder Fragezeichen auf seiner Tastatur, um seinem Willen oder seiner Empörung genügend Ausdruck zu verleihen?!
Dem kann allerdings inzwischen anderweitig abgeholfen werden: dem Himmel sei Dank erfand Harvey Ball 1963 für schlappe 45 Dollar binnen Sekunden den Smiley, jenen Urgroßvater des Emoji. Er sollte die demotivierten Mitarbeiter einer Firma zum Lächeln bringen. Der Plan ging auf. So wie heute: Der Smiley oder das Emoji soll binnen Sekunden eine Emotionen auslösen - getreu dem Motto: ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Drückt sich der Autor z.B. ungeschickt aus und ahnt das bereits vor dem Versenden, schreibt er heute selten die Nachricht um. Er setzt stattdessen einen augenzwinkernden Smiley mit Kuss ans Ende. Das relativiert das zuvor Geschriebene und schützt den Autor vor einer beleidigten Reaktion des Adressaten. Man stelle sich das im 18. Jahrhundert vor: Goethe schreibt einen Brief an Charlotte von Stein und versieht jeden Satz mit mindestens drei Frage- oder Ausrufungszeichen und ebenso vielen Emojis. Und Charlotte hätte dabei noch Glück gehabt. Denn er konnte sehr, sehr passabel zeichnen.
Aber das Ende des Emoji-Zeitalters ist ja schon längst eingeläutet. Das neue Mittel der komplett wortfreien Kommunikation sind Graphics Interchange Formats kurz GIFs. Ein GIF übermittelt die Stimmung des Schreibers überspitzt und beschränkt sich dabei in der Regel auf Liebe, Hass, Erstaunen oder Lachen. Mehr braucht man genau genommmen auch nicht im zwischenmenschlichen Miteinander. Mit einem solchen GIF ist der Nachrichtenverfasser immer einigermaßen auf der sicheren Seite. Er setzt auch nicht selten auf Ironie beim Einsatz, was dann tatsächlich jede Interpretation zulässt.
Wenn man es genau betrachtet, haben wir damit inzwischen unsere Zeitreise um die Welt vollendet. Wir sind wieder bei der Bildsprache angekommen, die sich von der der alten Ägypter nicht sehr unterscheidet. Glückwunsch!
Sollten Sie jedoch noch nicht so weit sein und ein bisschen altertümlich noch Worte bei schriftlichen Nachrichten benutzen, können Sie getrost auf jede Verstärkung, Überspitzung oder Verdoppelung, Emoji oder GIF verzichten. Ein guter Satz kommt ohne aus. Ein guter Satz zwingt den Schreiber allerdings auch dazu, seinen Worten und Nachrichten Bedeutung bei zu messen. Diese Kombination von denkendem Schreiber und bedeutungsvollen Worten ergibt durchaus in vielen Kommunikationsformen auch heute noch sehr viel Sinn. Oder sind Sie etwa anderer Meinung?!
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