Schillers Schädel
- KK
- 30. Aug. 2019
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Juni 2022

Als Schiller stirbt, ist Goethe 55 Jahre alt und krank. Und zwar so richtig. Seit einem Vierteljahr plagt ihn unter anderem eine lebensbedrohliche Nierenkolik. Er geht nicht zur Beerdigung, trauert aber wie ein Hund um den Freund, schließt sich tagelang ein und lässt niemanden von Bedeutung zu sich.
Währenddessen wird Schiller nachts beerdigt, still, ohne viel Tamtam und eben ohne Goethe. Arm aber berühmt bringt man ihn im leichten und billigen Tannensarg in das Kassengewölbe des Jakobskirchhofes in Weimar. Angelegt für 20 reiche oder ehrbare Bürger Weimars ist Schillers Leiche die 53. darin.
20 Jahre später meldet die Verwaltung, dass in dem Kassengewölbe dringend geräumt werden müsse, da jetzt gar kein Sarg mehr hineingestellt werden könne. Die Stadt entschließt sich, auf jeden Fall schon mal den alten Schiller zu bergen und seine Knochen als Reliquien zur Anbetung frei zu geben. Was folgt, gleicht Szenen eines schlechten Gruselfilms: Weimars Bürgermeister Schwabe steigt in offizieller Begleitung höchst selbst in die Gruft. Es liegt alles drunter und drüber, ein einziges Chaos und man glaubt es sofort: es stinkt entsetzlich nach Fäulnis und Moder. Namensschilder auf den Särgen - Fehlanzeige. Sie rufen den Tischler, der Schillers Tannensärgchen eilig und vor allem eben billig zusammengezimmert hat. Aber Tanne hält ja nicht 20 Jahre. Muss man sich merken. Und so erkennt der Tischler sein eigenes Werk nicht wieder. In einer Nacht- und Nebelaktion bestellt Schwabe einen Totengräber und drei Tagelöhner. Um Mitternacht in drei aufeinander folgenden Nächten klauen sie, verpflichtet zu a b s o l u t e m Stillschweigen, 23 Schädel. Bürgermeister Schwabe reiht sie zu Hause auf einem Tisch auf, packt den größten und ruft: „Der isses!“ Man holt die Totenmaske des Meisters, die passt ungefähr, und klopft etwas später bei Goethe an.
Goethe lässt das Ding erst mal säubern - es stinkt ja noch ein bisschen -, drapiert es auf einem blauen Samtkissen und dann auf seinem Schreibtisch. Nach langer Betrachtung schreibt er in der übernächsten Nacht: „Wie mich geheimnisvoll die Form entzückte! Die gottgedachte Spur, die sich erhalten!“ und meint die Seele Schillers im Schädel deutlich zu erkennen. So lädt er Freund Wilhelm Humboldt ein, man betastet gemeinsam die „dürre Schaale“ im festen Glauben: nur Schillers Hirn konnte diesen super Superknochen formen. Goethe studiert weiter, tastet weiter, philosophiert und dichtet weiter - ein ganzes Jahr - hamletdesk mit dem Kopf im Haus und im festen Glauben, es sei das Haupt des Freundes.
Fast 200 Jahre später wissen wir mit Sicherheit: alles Fake, dieser Knochen war niemals @realFriedrichSchiller - sagt seine DNA. Der bewunderte Schädel gehörte einer Frau. Was lehrt uns das? Ein Dickschädel macht noch keinen Schiller und - was war der alte Goethe schräg drauf!
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