Mauer 89
- KK
- 14. Nov. 2019
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Feb. 2022
Ich war blutjung, geboren in der westdeutschen Hälfte und zum allerersten Mal auf dem Weg nach Berlin. Wir hatten keine Verwandten in der DDR. Ich hatte keine Ahnung.
Am späten Nachmittag des 10. November 89 passierten wir die Grenze hinter der Raststätte „Waldkater“. Der Grenzer sächselte streng. Er knöpfte mir 10 Mark ab, weil ich statt des Reisepasses nur einen Personalausweis bei mir trug. An diesem Tag hatte er den leichteren Job als die Genossen, denn es gab nicht viel zu tun. Auf der Gegenfahrbahn gen Westen hingegen standen die Trabis und Wartburgs kilometerweit im Stau. Bei einem Tempolimit von 100 km/h schlichen wir über die Transitstrecke. Sie bestand nicht aus einer glatten Betonfläche. Es waren aneinander gesetzte Platten. Das Auto machte dieses monotone Dadong-, Dadong-, Dadong-Geräusch. Das mulmiges Gefühl blieb bis zum Grenzübergang Dreilinden.
Inzwischen war es dunkel geworden.
Das erste, was ich von Berlin sah, war der Mercedesstern auf der AVUS, der mit dem Funkturm um die Wette leuchtete. Mann, war ich damals aufgeregt. Wir fuhren den Kaiserdamm hinunter, weiter bis zum Potsdamer Platz. Dort, im Niemandsland, parkten wir das Auto im Sand und liefen die paar Schritte zur Mauer. Auf der Aussichtsplattform sahen wir den Todesstreifen, das Brandenburger Tor. Vereinzelt kletterten Mutige auf die Mauer. Doch plötzlich sprangen alle wieder runter. Die Vopos mit Kalaschnikows bezogen auf der Mauer Stellung. Ein letztes, kurzes Aufflackern der Staatsmacht DDR.
Keiner von uns war bislang in Berlin gewesen. Reichstag. Die Straße des 17. Juni. Der Rufer gen Mauer von Gerhard Marks mit der Inschrift „Ich gehe durch die Welt und rufe Friede, Friede, Friede‘“. Das sowjetische Ehrenmahl mit den patrouillierenden russischen Soldaten davor.
Wir gingen in eine abgeranzte Kneipe in Kreuzberg, ein paar gestrandete Gestalten am Tresen. Ich bestellte eine Berliner Weiße. „Hammwa nich, is doch jakeene Saison!“ pampte die Bedienung. Ich kam mir dumm vor.
Spät liefen wir zurück zum Auto. Es parkte ungefähr da, wo heute der Kaisersaal steht. Meine Mutter schlief auf der Rückbank, mein Vater auf dem Beifahrersitz, den er nach hinten gedreht hatte, ich auf der Fahrerseite, sitzend. Keiner hatte an eine Decke gedacht. Es war arschkalt.
Am nächsten Morgen verbreitete sich die Meldung, dass jetzt die Bagger zum Potsdamer Platz kommen. Sie schnitten an einer Stelle der Mauer fünf dicke Stücke heraus. Menschenmassen quollen aus Ost-Berlin in den Westteil der Stadt. Zunächst gingen DDR Bürger und Westler langsam aufeinander zu, doch dann lagen sich plötzlich wildfremde Menschen weinend und glückselig in den Armen, klopften sich gegenseitig auf die Schultern.
In meinem ganzen Leben werde ich das nicht vergessen. Es war der 11. November 1989 und ich mir ganz sicher: jetzt muss er kommen, der Weltfrieden.





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